Mittwoch, 10. Oktober 2007

Eva allein bei JBK

Eva Herman hat sich gestern bei JBK um Kopf und Kragen geredet. Zuerst setzte sie durch, dass das Originalzitat aus der Präsentation ihres Buches Das Arche Noah Prinzip. Warum wir die Familie retten müssen in voller Länge und "im Zusammenhang" zu Gehör gebracht wurde - mit dem Effekt, dass der Zusammenhang nur offenbarte, dass das frei gesprochene Wort mit seinen Auslassungen, abgebrochenen und neu angefangenen Sätze nicht zur Textauslegung geeignet ist und dass das Zitat in seinem Zusammenhang nur noch mehr unangenehme Interpretationen zulässt. Entschlossen weigerte sie sich, die Brücke zu betreten, die ihr der Historiker Wolfgang Wippermann gebaut hat: sie habe Konservatismus und Nationalsozialismus verwechselt, um kurz darauf jedes weitere Gespräch mit dem Mann abzulehnen.
Im Verlauf der Diskussion erstarrte ihr Gesicht zur Maske und die Assoziation zu Michael Jackson ließ sich nicht mehr verdrängen. In dieser Verstockung nahm sie keine Chance mehr wahr, sich auf die "Resozialisierungsabgebote" von Kerner oder die Charmeoffensive von Senta Berger einzulassen. Margarethe Schreinemakers war - was selten vorkommt - sprachlos; und das nicht nur, als Herman ihr unter die Nase hielt, sie sei selbst einmal von ihrem Sender entlassen worden. Der Komiker Mario Barth tauchte während der Diskussion vollkommen ab, es wurde ihm aber (zu Recht) auch keine einzige Frage gestellt. Überhaupt verlief die ganze Sendung recht untypisch. Von Beginn an ging es nicht darum, ein Gespräch oder eine Diskussion zu entwickeln, sondern ein Verhör durchzuführen und ein öffentliches Bekenntnis: "Ja, ich habe gefehlt" zu erhalten.
So weit hätte man ja noch Mitleid empfinden können - und Trotz ist keine ungewöhnliche Reaktion in so einer Situation. Aber mit allen weiteren Äußerungen wurde immer klarer, dass es ihr nichts nützen wird, sich hundertmal von der rechten Szene zu distanzieren, wenn sie mit allen anderen Äußerungen dort Jubel- und Triumphgeschrei auslöst: Sie habe gelernt, dass man nicht über die deutsche Geschichte sprechen könne, ohne in Gefahr zu geraten. Die deutsche Presse habe gleichgeschaltet über sie berichtet. Wenn man das Wort "Gleichschaltung" nicht mehr benützen dürfe, könne man auch nicht mehr auf der Autobahn fahren ... uvm.
Interessanterweise erregte der Autobahn-Vergleich am meisten Empörung und weckte sogar Mario Barth aus seiner Lethargie. JBK verabschiedete sich von Eva Herman.
Noch ein Wort zur Presse: Sieht man sich am nächsten Morgen die Artikel in den Online-Ausgaben von Welt, Spiegel , Focus und Stern an, so liest man überall denselben Agenturbericht mit dem Satz "Wenn man nicht über Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut wurden." Das ist tatsächlich ein falsch zitiert und auch wenn die Verschwörungstheorie von Eva Herman überzogen ist, so kann man schon wütend werden auf die nachlässige Art von Redaktionen, mit Informationen umzugehen. Eine Überprüfung ist dazu so einfach, weil die Sendung auf der ZDF-Seite online gestellt ist. Eva Herman schließt daraus, dass sich die Journaille gegen sie stellt und zieht sich darauf zurück, dass sie von "normalen Menschen" Zuspruch und Ermunterung erhält. Aber wahrscheinlich ist es zu viel der Ehre, von einer konzertierten Aktion der deutschen Presse auszugehen, wo eigentlich nur schnell und schlampig gearbeitet wird und eine kindische Freude daran herrscht, Skandalöses zu berichten.
Dabei braucht es gar keine Verschwörung, um Eva Herman öffentlich bloßzustellen oder zu blamieren, wenn man sie nur machen lässt, erledigt sie das allein am besten.
G.M.

Die Sendung vom 09.10.2007 im ZDF:
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/22/0,1872,1020214,00.html

Auf Eva Hermans Website kann man das Zitat der Buchpräsentation im Wortlaut und im Zusammenhang lesen und hören:
http://www.eva-herman.de/mediendarstellung/medien_darstellung_2.html

Der gleiche, nicht korrekt wiedergegebene Satz in der Welt:
http://www.welt.de/fernsehen/article1249011/Eva_Herman_muss_Kerners_Show_verlassen.html, im Spiegel :
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,510476,00.html bei Focus :
http://www.focus.de/kultur/kino_tv/tv-eklat_aid_135365.html und im Stern:
http://www.stern.de/unterhaltung/tv/:TV-Eklat-Kerner-Eva-Herman/599791.html.

Freitag, 17. August 2007

Beobachtung der Beobachter - Gustav Seibt gruselt's vor den Fernsehkindern

Bis zum 29. Juli 2007 war in Berlin eine Ausstellung von Wolfram Hahn zu sehen, die Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung am 5. Juni besprach: Kinder wurden vor den Fernseher gesetzt und beim Glotzen fotografiert.
Die drei Bilder, die in der SZ abgedruckt sind, zeigen jeweils Brustbilder eines Buben oder eines Mädchens vor einer grauen Wand. Der Blick der Kinder ist nach vorne unten gerichtet. Das Licht kommt diffus von rechts, erhellt die rechte obere Seite des Hintergrundes und schattiert ihn bis links unten in allen Graustufen ab. Die Gesichter der Kinder sind nicht vom Standort des Fernseher aus beleuchtet, sondern von eben diesem linksseitigen Licht. Sie sitzen wohl auf einem Hocker oder Schemel, denn es ist keine Lehne eines Stuhls oder eines Sofas zu sehen.
Die Behauptung der Ausstellung und des dazugehörigen Kataloges folgt den Thesen Neil Postmans, dass Fernsehen verblödet, den Geist okkupiert, passiv macht und das gesamte persönliche und gesellschaftliche Leben mit einer Unterhaltungserwartung kontaminiert.
Selbst wenn man, wie Seibt, diese Meinung teilt, ändert das nichts daran, dass die Bilder eigentlich etwas anderes zeigen. Nämlich wie ein Erwachsener die Kinder beim Fernsehen sieht. Es ist nicht so, dass die Kleinen "aus der Sicht des Fernseher" fotografiert sind, sondern aus der Sicht des Fotografen, der hinter der Glotze sein Stativ aufgebaut hat: also leicht von oben. Nicht das Medium blickt zurück, sondern der voreingenommene Beobachter schaut auf sein Objekt und nimmt eine Stellung ein, die sein Urteil nur bestätigen kann.
Seibt sorgt sich, welche "Saat" das Fernsehen in die sich noch entwickelnden Hirne sät, spekuliert über vertane Lebenszeit, ist irritiert von der "Stille, die in Hahns Bildern liegt" und gruselt sich vor dem "Antlitz der Zeit", das einen nicht anschaut. Natürlich wird der Betrachter von den Kindern nicht angesehen, denn sie blicken nicht in die Kamera, sondern auf den Bildschirm. Aber auch der Fotograf und mit ihm der Betrachter schauen sie nicht an, sondern auf sie. Und "Stille" liegt über jeder Fotografie, umso mehr sie einen Menschen zeigt, der allein ist und auf etwas anderes konzentriert.
Seibt zeigt sich befremdet von "körperlich erstarrter Zusammengefallenheit, hängender Gesichtsmimik und gebanntem, nichts erwiderndem Blick". Erneut muss man an die Fiktionalität, die Gemachtheit der Bilder erinnern: Von der Sitzgelegenheit, über den grauen Hintergrund, den nach unten gerichteten Blick (offenbar steht der Fernseher auf dem Boden, auf jeden Fall nicht in Augenhöhe), bis hin zum Wesentlichen: dem Programm, das den Jungen und Mädchen gezeigt wird - das alles ist sorgfältig ausgewählt.
Die Bilder sind inszeniert und selektiv - das Recht, ja die Aufgabe des Künstlers. Hahn darf und soll seine Idee veranschaulichen, den Eindruck manipulieren, eine Impression herstellen, denn er will als Künstler eine Aussage machen. Problematisch wird es nur, wenn der Betrachter der inszenierten Bilder von fernsehenden Kindern annimmt, dass hier gezeigt würde, was das Medium mit den Kindern macht. Es ist eben Kunst was er anschaut und nicht die Wirklichkeit.
G.M.

Nachtrag:

Wer sich die weiteren Bilder genau ansieht, wird in keine hohl-blöden Visagen blicken, sondern in angespannte, traurige, ernste, beinahe ängstliche, auch gelangweilte Kindergesichter, deren Mimik durchaus differenziert und keineswegs uniform ist.

Ein Beitrag zum selben Thema:
http://www.fernsehen.ch/blog/archives/261-Erstarrte-Kinder-vor-dem-Fernseher.html
Den Katalog zur Ausstellung ist im deutschen Kunstverlag erschienen.
Ein Kurzinfo zur Ausstellung von Wolfram Hahn ist hier zu lesen:
http://www.crespo-foundation.de/204.html?&L=0

Nachtrag 2:
Acht Jahre später: Die Süddeutsche Zeitung berichtet ein weiteres Mal über Fotografien fernsehender Kinder. Am 27./28 Juni 2015 veröffentlicht sie fünf Bilder der Fotografin Donna Stevens, die 2013 entstanden. Zwar sitzen die Kinder hier vor einem schwarzen Hintergrund, die Ausleuchtung und die Blickrichtung der Kinder ist etwas anders, aber sowohl die Idee als auch die Bildanmutung sind gleich (wie wohl Michael Neudeckers Kommentar zu den Bildern etwas weniger apokalyptisch ausfällt).

Samstag, 24. März 2007

Nicht legendentauglich: "The Flags of Our Fathers" von Clint Eastwood

„Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende.“ (aus: „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“). Die Legende macht Helden und lässt Geschichte erträglich werden. Die Wahrheit ist nicht nur als Story unattraktiv, sie haftet an den Menschen wie Kaugummi im Profil der Schuhe. Die Legende ist in wenigen Sätzen erzählt, die Wahrheit muss meistens umständlicher rekonstruiert werden und vor allem hat sie weder Anfang, noch Höhepunkt, noch ein Ende.
Die Behauptung, dass ein Bild den Krieg entscheiden könne – gleich ob es die angeblich kriegsmüde amerikanische Gesellschaft dazu bringt, die entscheidenden neuen Anleihen für den 2. Weltkrieg zu zeichnen oder ob es in der Öffentlichkeit der USA einen Druck erzeugt, der die Beendung des 2. Irakkrieges erzwingt – ist wohl ebenso eine Legende. Und sie wird in Rezensionen von Eastwoods Film gerne wiederholt.
Dies sind Notizen der Eindrücke, die ich aus dem Film mitgenommen habe:
Die Rahmenhandlung: Der Sohn von John „Doc“ Bradley (Ryan Phillipe) recherchiert die Geschichte seines Vaters. Das erinnert an die „Brücken über den Fluß“ (1995). Kinder stöbern in der Vergangenheit ihrer Eltern und erkennen, wer ihre Eltern „wirklich“ waren. Ein Unterton von Wehmut und Verlust begleitet diese Indiskretion, ein Bedauern, sie nicht richtig gewürdigt zu haben. Irgendwie hat das den Beigeschmack von der Rache der Alten: Ihre nervige Weisheit: „Ehre das Mutterherz so lange es schlägt, denn wenn es zerbrochen, ist es zu spät.“ erhält posthum Bestätigung.
Komposition der Geschichte: Die Rekonstruktion der Entstehung des Fotos in Rückblenden hat nicht nur erzählerischen Sinn. Sie komplettieren die Geschichte der Schlacht und der Aufrichtung der Fahne und sie fügen Detail an Detail – damit erhält die Erzählung den Recherchecharakter der Rahmenhandlung. Quälend lange sehen wir dem Schlachten zu. Die Eroberung von Iwo Jima dauerte 35 Tage, für die Soldaten hörte die Schlacht niemals auf. Die Rückblenden verlebendigen das Schreckliche im Heute der Menschen, die den Krieg überlebt haben, sie leben mit ihm weiter.
Die Szenen der Schlacht: Grausam sind die beiden Szenen, in denen amerikanische Soldaten Opfer der eigenen Kriegsmaschinerie werden. Schon zu Beginn, als das Ziel der Eroberung noch nicht einmal zu sehen ist, fällt ein Soldat vom Schiff und der gesamte Schiffsverband fährt an ihm vorbei. Natürlich, wegen eines Mannes über Bord kann kein ganzer Kampfverband angehalten werden. Das Grauen steigert sich langsam. Zunächst spult sich das gesamte Filmwissen ab und erwartet werden Haie, die den Mann zerreißen oder die Schiffschraube, die ihn zerhäckselt. Aber nichts dergleichen passiert. Ruhig ziehen die Schiffe an ihm vorüber und so langsam, wie die Matrosen ihren Kameraden im Wasser wegtreiben sehen, dämmert es auch dem Zuschauer, dass noch nicht einmal der Versuch gemacht werden wird, ihn zu retten.
Die zweite Szene zeigt, wie belanglos der einzelnen Soldat ist und wie unmöglich, so etwas wie Menschenwürde im Krieg zu bewahren. Die toten Soldaten am Strand von Iwo Jima treiben im Wasser, das Meer schwemmt die Körper über den Sand hinauf und zieht sie wie Tang wieder zurück. Hinter der ersten Sturmtruppe der Soldaten rollen die Panzer an Land. Sie kurven nicht um die Toten herum, sondern fahren den direkten Weg den Strand hinauf. Man sieht zu, wie ein Leichnam unter die Panzerketten gerät, zerdrückt und in den nassen Sand gepresst wird. Ein Nichts. Das Unmenschliche ist nicht allein der Kampf oder das Töten, die Begleitumstände des Kämpfens oder Tötens erlauben nichts anderes.
Der Feind ist unsichtbar. Die Japaner haben sich in unterirdischen Gängen eingebuddelt und schießen aus der Tarnung heraus. Ahnungslos stolpern ihnen die GIs ins Maschinengewehrfeuer. In den wenigen Begegnungen mit den japanischen Soldaten entladen sich alle Angst, Furcht, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Der GI sticht wie ein Wahnsinniger auf den schon toten Japaner ein. Sein Kamerad blickt ihn an und erkennt ihn nicht mehr oder er erkennt im anderen sich selbst, den er nicht mehr kennt. Der Schrecken zu sehen, was aus uns geworden ist. Der Schrecken, die Unkontrollierbarkeit nicht nur von außen, sondern auch von innen zu erfahren.
Der abgesprengte, abgerissenen, abgeschnitten Kopf im Helm – kein Vergleich zu dem vorherigen Horror. Einfach nur ein Zitat, Wiederholung eines altbekannten Motivs, in Horror- und Kriegsfilmen nur allzu gern verwendet. Der Verweis auf die Filmgeschichte, die aufdringliche Intertextualität ist fast ärgerlich.
Die Figur von René Gagnons (Jesse Bradford) Freundin, ist wunderbar unsympathisch gezeichnet und von Melanie Lynskey hervorragend gespielt. Sie ist das Mädchen, das gerne mit einem Popstar zusammen sein möchte, das den Glamour und die Blitzlichter liebt. Nun ist ihr Freund ein Kriegsheld und ein Empfang beim Gouverneur steht auf dem Programm. Da stirbt dummerweise Präsident Roosevelt und das Fest wird abgesagt. Die Enttäuschung, die sich in ihrem Gesicht ausbreitet ist sehenswert: Der Trotz eines Mädchens, das sich auf seinen Abschlussball gefreut hat und nun wegen des Todes irgendeiner entfernten Tante ihr neues Kleid nicht vorführen kann. Da kann man nicht nur die Enttäuschung, sondern auch den Zorn auf den Toten verstehen. Eine Wut die sich nicht geziemt, die man verbergen muss, was sie noch vergrößert. Später zerstört sie in ihrer Sehnsucht, im Rampenlicht zu stehen, wahrgenommen und bewundert zu werden, die anrührende Begegnung ihres Freundes mit der Mutter eines gefallenen Kameraden. Wie sie sich da vordrängt und der trauernden Mutter ihr eigenes Glück vorführt, ist eine Gefühllosigkeit, die durch ihre Unbekümmertheit noch verschlimmert wird. Und doch ist auch sie eine tragische Figur. Der Mann, den sie heiratet, ist nur als Kriegsheld ein Star. Nach dem Krieg rutscht er wieder in die Bedeutungslosigkeit der einfachen Mittelschicht, aus der sie sich wegträumen wollte.
G.M.

"The Flags of Our Fathers" (2006) 131 min.
Regie: Clint Eastwood
Buch: William Broyles jr., Paul Haggis
Kamera: Tom Stern

Dienstag, 31. Oktober 2006

Ein Neuseeländer träumt den amerikanischen Traum - "Mit Herz und Hand" von Roger Donaldson

Manchmal verläßt man das Kino als anderer Mensch - das ist ein Glücksfall. Manchmal jedoch kann es genauso beglücken, wenn ein Film haargenau zu der Stimmung passt, mit der man hineingegangen ist. Dies war hier der Fall und daher muss zuerst über das "Davor" berichtet werden.

Etwas abgehetzt und abgespannt erreiche ich das Kino. Ich bin von einem eisigen Wind durchgekühlt und eine kalte Cola ist jetzt das letzte, was ich mir wünsche. "Haben Sie auch warme Getränke?", frage ich mit suchendem Blick auf die Anzeigetafel. "Leider nein", antwortet der Kinobesitzer, "aber im Café neben an können Sie welche mitnehmen, jetzt laufen sowieso erst 20 Minuten Werbung und Vorschauen." Sehr nett, denke ich mir, stecke mein Billet ein und suche das Café auf. Ein Mann steht vor mir an der Theke, er hat erkennbar einen Großeinkauf vor und bespricht in einer Mischung aus gebrochenem Deutsch und ebensolchem Englisch mit dem Verkäufer den Konflikt zwischen der Vorliebe für allerlei Sorten süßes Gebäck und dem Kampf gegen das Übergewicht. Ich stelle mich auf Warten ein und bin angenehm überrascht, als er mich sofort vorlässt. Irgendwie finde ich seine Pfadfinderweisheit, wie einfach es ist, anderen Menschen einen Gefallen zu tun und wie viel besser die Welt als ganze wäre, wenn jeder das täte - "Sometimes it's so easy" - sehr sympathisch. Von so viel Freundlichkeit eingelullt und mit einer heißen Schokolade im Bauch mache ich es mir auf meinem Sitz bequem.
Der Film über einen Mann, der den Geschwindigkeitsrekord gebrochen hat beginnt mit einer aufreizend langsamen Fahrt über eine Motorradverkleidung, Werkzeug und Regale, vollgestopft mit ausrangierten Kolben und Ersatzteilen: "Offerings to the God of Speed". Irgendwann findet die Kamera Burt Munro (Anthony Hopkins), der hier schläft und noch im Traum gibt es für ihn nur Rennstrecken. Burt lebt nicht nur für seine Maschine, sondern mit ihr. Seine Werkstatt ist sein Zuhause und sobald er aufwacht, existiert nichts anderes für ihn, als die Aufgabe, seine alte Indian, Baujahr 1920, noch schneller zu machen.
Mit wahren Geschichten ist es so eine Sache: man weiß wie's ausgeht. In diesem Fall ist es die Geschichte des Motorradfreaks Burt Munro (1899 - 1978) aus Invercargill, Neuseeland und seinem Traum, mit seiner Maschine an der Speed Week in Bonneville, Utah teilzunehmen. Auf der harten, trockenen, weiten Salzpiste will er herausfinden, wie schnell die Indian tatsächlich fährt, denn auf dem weichen neuseeländischen Sandstrand lässt sich nun mal kein Geschwindigkeitsrekord aufstellen.
Der Film erzählt also, wie Burt Munro das schafft. Ein Road Movie, in dem es keine Überraschungen gibt, in dem der Protagonist keine Erfahrungen macht, die ihn verändern, in dem nicht der Weg das Ziel ist und in dem sich am Ende nicht herausstellt, dass das wahre Glück ganz wo anders liegt. Der Reisende verlässt einen Ort, an dem ihn die Nachbarn mit seinen Schrullen respektieren und macht eine lange Reise durch ein fernes, unbekanntes Land. Dort begegnet er anderen Exzentrikern, die ihm helfen, seinen Traum zu verwirklichen.
Das klingt langweilig und auf eine Weise ist es das auch. Der Film kommt so behäbig daher wie sein Held im Rentenalter mit angina pectoris. Beide bewegen sich langsam aber stur auf ihr Ziel zu und sparen nicht mit Altherren-Weisheiten. Die vollkommene Einheit von Form und Inhalt.
Trotzdem ist "Mit Herz und Hand" ein schöner Film. Er ist versessen auf Details, er ist voller Figuren, denen man ihr Leben ansieht, ohne es auszubreiten, er verweigert sich ästhetisch dem Geschwindigkeitsrausch.
Die Reise von der Westküste ins Landesinnere der USA ist eine einzige Freakshow: Ein schwarzer Transvestit, der in einem Stundenhotel an der Rezeption arbeitet (Chris Williams), ein ibero-amerikanischer Gebrauchtwarenhändler (Paul Rodriguez), ein Indianer mit Prostataproblemen (Saginaw Grant), eine alte Witwe mit starker Libido (Diane Ladd) und natürlich die Geschwindigkeitsfanatiker in der Wüste von Utah. Roger Donaldson gelingt es, dieses Panoptikum nicht als Ansammlung von Klischees zu präsentieren. Jede Figur ist eine Station, eine Begegnung mit einem Teil der USA. So vervollständigt sich Meile für Meile das Bild vom amerikanischen Traum: Hier kann es jeder schaffen, hier kann jeder seinen Wunsch Wirklichkeit werden lassen und alle arbeiten auf ihre Weise mit, dass dies auch mit Burt Munros Traum geschieht.
Mag sein, dass an einem anderen Tag dieser Film bei mir unter Kitschverdacht geraten und sein Hymne auf amerikanische Werte und gute Menschen hoffnungslos durchgefallen wäre, aber an diesem Tag hat er so gut getan wie heiße Schokolade - und etwas zu süß war er auch.
G.M.

Mit Herz und Hand (The World´s Fastest Indian) (2005) 128 min.
Regie: Roger Donaldson
Buch: Roger Donaldson
Kamera: David Gribble

Samstag, 28. Oktober 2006

Wenn Frauen zu viel weinen - "Volver" von Pedro Almodóvar

Pedro Almodovar gilt als der Frauenversteher unter den Filmregisseuren. Falls er Frauen tatsächlich bewundern, lieben und für die grundsätzlich besseren Menschen halten sollte, hat er ihnen mit "Volver" jedoch einen Bärendienst erwiesen.
Das positive Frauenbild ist hier bis zur Karrikatur verzerrt. Frauen rackern sich für ihre nichtsnutzigen Männer ab, putzen und kochen, richten die Gräber ihrer seligen Verwandten, sie frisieren sich gegenseitig die Haare, sie pflegen andere bis zu deren Tode - und all das machen sie nicht nur klaglos, sondern gerne.
Frauen helfen sich bis zur Selbstaufgabe, sie lieben sich, sie geben ihr letztes Hemd für einander her, sie können alles miteinander bereden und falls sie - wie konnte das nur geschehen! - die andere einmal doch verletzen, dann sind sie selbstverständlich fähig, zu verzeihen.
Ach ja, etwas tun die Frauen in "Volver" ausgiebig: weinen. Sie weinen unablässig in jeder Szene. Während die Frauen miteinander reden, einander helfen und verzeihen, weinen sie und weinen und weinen.
In "Volver" sieht man ausschließlich Frauen (die wenigen Männer des Films werden entweder recht schnell getötet oder reisen schon am Anfang von alleine ab) dabei zu, wie sie reden, weinen oder beides zugleich tun. Wäre die größte Sensation in diesem Film nicht Penélope Cruz´Ausschnitt, dann wäre das Hörspiel eigentlich die perfekte Form für "Volver".
Die Handlung ist dicht und ereignisreich: Die Tante von Raimunda (Cruz) und Sole (Lola Duenas) stirbt. Die Nachbarin Agustina (Blanca Portillo) hat die Leiche der Tante entdeckt und behauptet, der Geist von Raimundas und Soles Mutter hätte sie alarmiert. Agustina ist selbst schwer krebskrank und versucht die Schwestern zu überreden, ihren "mütterlichen Geist" nach dem Verbleib ihrer eigenen Mutter zu befragen.
Raimundas Tochter Paula (Yohana Cobo) tötet derweil ihren zudringlichen Vater. Nun muss seine Leiche beseitigt werden, die man, bis das Problem angegangen werden kann, in der Gefriertruhe des leerstehenden Restaurants des Nachbars versenkt.
Zufällig dreht in der Nähe auch ein Filmteam, das eine Verpflegungmöglichkeit sucht und nun kann Raimunda das Restaurant außer als Leichenkühlhaus auch noch als illegalen Cateringservice nutzen.
Außerdem muss Raimunda von Schwester und Tochter langsam darauf vorbereitet werden, dass die Mutter (Carmen Maura) zwar tatsächlich zurückgekehrt ist, jedoch nicht als Geist, sondern in Fleisch und Blut. Mit ihrer Rückkehr klärt sich alles: das Familiengeheimnis, die Beziehung zwischen Raimunda und ihrer Mutter, die Vaterschaft der Tochter Paula und das Verschwinden von Agustinas Mutter.
All das vollzieht sich unter endlosem Reden und Weinen - und deshalb rührt einen der Film nicht an. Dem Zuschauer wird jedes Rätsel und jede Spannung vorenthalten, weil alles schon lange vorher von den Protagonisten besprochen wurde. Keine Handlung bleibt unkommentiert und jedes Gefühl, das man als Zuschauer entwickeln könnte, wird schon vorher ausbuchstabiert und vorgeführt. Die Interpretationslust der Zuschauer wird in die Zwangsjacke der Eindeutigkeit gesteckt: Jeder Charakter ist genau so, wie er gezeigt wird und entwickelt im Laufe des Films auch nicht den Hauch von Ambivalenz. Zum Heulen.
G.M.

Volver (2006) 120 min
Regie: Pedro Almodóvar
Buch: Pedro Almodóvar
Kamera: José Luis Alcaine

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